• Stromversorgungskonzept JB und WAB
  • Stromversorgungskonzept JB und WAB

    Nutzung Bremsstrom bei der Jungfraubahn und der Wengeralpbahn

    Die Züge der Jungfraubahn AG und der Wengernalpbahn AG werden mit elektrischer Energie angetrieben, da es gilt, sie vom Tal auf den Berg zu befördern. Bei der Rückfahrt hinab müssen die Züge gebremst werden, damit sie nicht zu schnell ins Rollen kommen. Die Bremsenergie wird bei diesem Prozess in elektrische Energie umgewandelt, wobei die topografischen Gegebenheiten der Region mit den grossen Höhendifferenzen und konstanten Gefällen grosse Potenziale für die Energieoptimierung bergen.

    Jungfraubahn

    Die Fahrleitungsanlage der Jungfraubahn wird mit einer Wechselspannung von dreimal 1’125 Volt und 50 Hertz betrieben. Für die Einspeisung ab dem betriebseigenen Mittelspannungsnetz sind zwischen der Kleinen Scheidegg und dem Jungfraujoch insgesamt zehn Trafostationen in Betrieb, wovon sich sieben im Tunnel befinden. Die Abstände dieser Stationen sind auf das Gefälle abgestimmt. Die bergwärts fahrenden Züge beziehen den Strom stets aus der Trafostation oder den ‑stationen, die am nächsten liegt beziehungsweise liegen. Heute sind bei der Jungfraubahn fast sämtliche Fahrzeuge so ausgerüstet, dass sie den elektrischen Bremsstrom direkt in das Fahrleitungsnetz einspeisen können.

    Vereinfacht dargestellt gibt ein talwärts fahrender Zug elektrische Energie an einen bergwärts fahrenden Zug weiter. Das bergab rollende und dabei bremsende Fahrzeug dient dabei sozusagen als Kraftwerk. Der andere Zug kann in diesem System im besten Fall ausschliesslich mit Bremsstrom betrieben werden. Wenn dies nicht genügt, wird über die besagten Trafostationen zusätzlicher Strom aus dem Mittelspannungsverteilnetz bezogen.


    Beispielsweise abends, wenn mehr Züge talwärts als bergwärts fahren oder wenn sogar ausschliesslich ins Tal gefahren wird, befindet sich überschüssiger Strom im Fahrleitungsnetz. Da die Jungfraubahn mit Wechselstrom betrieben wird, kann der Bremsstrom an einer oder mehreren der zehn Trafostationen in das Mittelspannungsverteilnetz eingespeist werden.

    Im Geschäftsjahr 2020 hat der Verkehrsbetrieb der Jungfraubahn circa 2’870’000 Kilowattstunden (kWh) Strom bezogen, aber auch beachtliche 1’450’000 kWh (gerundet) in das Verteilnetz zurückgeführt. Zur Veranschaulichung: Die Menge des zurückgelieferten Stroms entspricht gut dem gesamten 2020er Bedarf der Bergbahn Lauterbrunnen-Mürren beziehungsweise knapp demjenigen der Beschneiungsanlagen der Wengernalpbahn AG.

    Das sogenannte dreiphasige Energieversorgungssystem der Jungfraubahn mit zwei Fahrdrähten und einer geerdeten dritten Phase an der Schiene ist ausgesprochen selten anzutreffen.

    Wengernalpbahn

    Bei der Elektrifizierung der Wengernalpbahn in den 1910er-Jahren kam man überein, dass ein Gleichspannungsfahrleitungsnetz am besten geeignet sei. Ein besonderer Vorteil gegenüber dem System der Jungfraubahn war dabei, dass die Fahrleitung nur einen Fahrdraht benötigte. Die Umwandlung der Mittelspannung erfolgte in sogenannten Umformern, die Wechselstrom in Gleichstrom «verwandelten», und zwar mit einer Spannung von 1’500 Volt. Bahnintern wird zum Beispiel das Wohn- und Technikgebäude oberhalb von Wengen noch immer als «Umformer» bezeichnet. Heute verfügt die Wengernalpbahn über insgesamt sechs moderne Diodengleichrichteranlagen, welche die Fahrleitung mit den gewünschten 1’500 Volt versorgen.

    Auch bei der Wengernalpbahn kann ein Grossteil der Fahrzeugflotte den elektrischen Bremsstrom in das Fahrleitungsnetz einspeisen. Im Idealfall nehmen auch hier die bergwärts fahrenden Züge Strom von den talwärts fahrenden auf. Weil in diesem Fall der talwärts fahrende Zug Gleichspannung in das Fahrleitungsnetz zurückgibt, kann der bergwärts fahrende Zug die Gleichspannung aufnehmen. Die Dioden, welche den Wechselstrom in Gleichstrom umwandeln, bringen es mit sich, dass der Strom nur in eine Richtung fliesst. Es ist folglich nicht möglich, dass überschüssiger Bremsstrom (Gleichspannung) vom Fahrleitungsnetz direkt in das Mittelspannungsverteilnetz geführt wird.


    Bereits zu Beginn der 1990er-Jahre erkannten die Verantwortlichen, dass es technische Möglichkeiten gibt, den Bremsstrom auch bei der Wengernalpbahn in das Mittelspannungsverteilnetz einzuspeisen und somit wertvolle Bremsenergie zu verwerten. Zu Beginn wurde im bereits erwähnten «Umformer Wengen» ein erster Wechselrichter installiert. Ein solcher wandelt den Gleichstrom in Dreiphasenwechselstrom um, der anschliessend mit einem Transformator auf die gewünschte Spannung hochtransformiert und in das Mittelspannungsverteilnetz eingespeist wird. Die Wengernalpbahn kann somit bereits seit mehr als 30 Jahren überschüssigen Bremsstrom weiterleiten.



    Die Geschäftsleitung entschied 2015, die beiden Wechselrichter «Umformer Wengen» und Alpiglen zu erneuern. Solche Anlagen sind komplexe Einzelanfertigungen und müssen auf die individuellen, konkreten Bedürfnisse ausgelegt werden. In der Ostschweiz fand sich mit der Simatex AG ein kompetentes Unternehmen, das für die Wengernalpbahn zwei hochmoderne Wechselrichter mit IGBT-Technologie hergestellt hat. (IGBT ist das englische Kürzel für Bipolartransistor mit isolierter Gate-Elektrode.) 2017 konnte die Anlage «Umformer Wengen» und 2018 die Anlage Alpiglen in Betrieb genommen werden.  

    Wechselrichteranlage der Firma Simatex AG im «Umformer Wengen»

    Wechselrichteranlage der Firma Simatex AG im «Umformer Wengen»


    Im Vergleich zur Jungfraubahn speist die Wengernalpbahn deutlich weniger Energie in das Mittelspannungsverteilnetz ein. Mit der Umwandlung von Gleich- in Wechselstrom geht Energie verloren und die grössere Distanz der Wechselrichteranlagen bringt Übertragungsverluste mit sich. 2020 hat die Wengernalpbahn im Bahnbetrieb circa 4’960’000 kWh Energie bezogen, über die Wechselrichter aber zugleich auch knapp 240’000 kWh in das Mittelspannungsverteilnetz zurückgeführt. Dies geschieht vorwiegend am späten Abend und in der Nacht. In den Zahlen nicht berücksichtigt sind die Energiemengen, die direkt über das Fahrleitungsnetz von talwärts fahrenden Zügen an bergwärts fahrende Züge weitergegeben wurden. Die 240’000 kWh entsprechen in etwa dem Jahresenergiebedarf des Parkhauses Lauterbrunnen. Oder anders gerechnet: Mit dieser Energie kann während 16 Jahren die öffentliche Strassenbeleuchtung von Zweilütschinen, Gündlischwand, Lütschental und Burglauenen betrieben werden.